Ein Europa der Versöhnung, nicht der Eliten

Aus dem Rundbrief der Sozialistischen Linken in der Partei DIE LINKE vom Januar 2014

Für den Juristen und Politiker Kurt Neumann und den Bundestagsabgeordneten Diether Dehm ist der aktuelle Entwurf des Europawahlprogramms der Partei DIE LINKE ein Produkt des Apparats: Die Sprache schwerfällig und voller Fachausrücke. Der europapolitische Sachverstand der Bundestagsfraktion blieb zugunsten langatmiger Kompromisse unberücksichtigt. Dem Entwurf fehle die politische Linie.

Am Montag, dem 13. Januar 2014, waren beide zu Gast im Marx Engels Zentrum Berlin, das im vergangenen Herbst seine Tore geöffnet hatte. Mit rund 40 Teilnehmern war die Veranstaltung „DIE LINKE vor dem Europaparteitag“ gut besucht und beide Referenten erhielten die Gelegenheit, den von ihnen geschriebenen und von Wolfgang Gehrke unterstützten Alternativentwurf vorzustellen. Dabei gelang ihnen in den Gremien der Partei bereits ein kleiner Coup: Dem vergleichsweise kurzen Programmtext – er kommt mit ca. einem Viertel der Zeilen des Entwurfes des Parteivorstandes zu Rande – wurde erstmalig in der Parteiengeschichte der Bundesrepublik ein Glossar angefügt. Zumindest diese Neuerung konnte sich bereits durchsetzen.

Viele weitere Punkte bleiben jedoch bis zum Europaparteitag am 15. und 16. Februar 2014 umstritten. So wurde den Autoren bereits verschiedentlich „Nationalismus“ vorgeworfen. Dehm verteidigte den Alternativentwurf als einen Versuch der Reklamation des Grundgesetzes von links. Es gehe darum, dass wichtige rechtsstaatliche Errungenschaften seit der Französischen Revolution „nicht mehr von der Linken unterschritten […], sondern ausgebaut“ werden sollen. Der Entwurf illustriert diese Notwendigkeit, indem er auf die Warnung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle anspielt, der im Jahr 2011 vor einem „Europa der Eliten“ warnte: „Wohin Europa geht, darf nicht allein in elitären Zirkeln entschieden werden“, so Voßkuhle wörtlich in seiner Bonner Rede im Rahmen des Festaktes zum Tag der Deutschen Einheit. Dehm erläuterte, dass über den Umweg der Europäischen Union mittlerweile 83% der Gesetze durch die Brüsseler Bürokratie bzw. ein Parlament ohne Initiativrecht bestimmt seien, was den europäischen Eliten letztlich dazu diene, Widerstand der Bevölkerung zu umgehen. Die Verträge von Maastricht und Lissabon zeichneten sich durch einen „Mangel an Respekt vor der bürgerlichen Demokratie“ aus.

Ebenso umstritten sind Formulierungen zum „militaristischen Charakter“ der Europäischen Union. Die EU habe im Primärrecht fest institutionalisiert, die modernsten Waffen anzuschaffen, so Dehm. Formulierungen mögen verbessert werden können, das Aufrüstungsgebot könne man aber nicht wegreden, alle Verfasstheit eines staatlichen, parastaatlichen oder überstaatlichen Gebildes „richtet sich immer nach seinem Primärrecht“. Die Mütter und Väter vieler nach dem 2. Weltkrieg entstandener Verfassungen hatten jedoch den Geist des Antifaschismus institutionalisiert, indem sie erkannten, dass „eine bestimmte wirtschaftliche Macht […] zu den Möglichkeiten [führt], […] Kriege zu finanzieren“. Die EU habe allerdings sogar Kapitalverkehrskontrollen verboten, was gegen Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes gerichtet ist.

In der folgenden Debatte äußerten Teilnehmer ihr Befremden über das geplante Freihandelsabkommen TTIP und den überbordenden Einfluss von ideologischen Akteuren wie der Bertelsmann-Stiftung. Kritik wurde unter anderem an der innerparteilichen Debatte geäußert, die nicht deutlich genug geführt werde, allerdings auch erst mit dem Gegenentwurf eröffnet wurde. Unterschiedliche Auffassungen gab es zu den Themen Kultur und Bildung, die im Entwurf bewusst nur kurz behandelt wurden („Glückliches Leben heißt auch, sich kulturell zu entfalten. Mit den vielfältigen regionalen und nationalen Kulturen in Europa, in Sprache, Bild und Musik. Die PISA-Studien mögen wichtige Messungen enthalten, aber Kreativität ist nicht mit der Stoppuhr zu messen.“). Dehm warnte davor, Kultur- und Bildungspolitik an den bürokratischen Apparat der EU zu delegieren und sprach sich für den Erhalt des „Subsidiaritätsprinzips“ aus: „Was auf regionaler Ebene geht, soll auf regionaler Ebene bleiben“, so Dehm.

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